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Blindheit heilen: gentechnische Ansätze gegen Netzhauterkrankungen und Sehverlust

Veröffentlicht am 10 Mai 2021 Lesen 25 min

Weltweit sind 39 Millionen Menschen offiziell als blind eingestuft. Etwa 2 Millionen Patienten leiden unter Sehverlust, der durch mutierte, vererbte Gene verursacht wird. Eine genetische Mutation bedeutet im Grunde, dass die DNA beschädigt oder verändert ist. Dadurch wird ihre Expression verändert – das kann zum Schweigen eines Gens, einer Überexpression oder einer veränderten Funktion eines Proteins führen. Diese Fehlfunktionen werden bei Erbkrankheiten von Generation zu Generation weitergegeben. Bis heute gibt es keine wirksame Behandlung für genetisch bedingte Erkrankungen wie Retinitis Pigmentosa, die Stargardt-Krankheit oder die Leber’sche kongenitale Amaurose (LCA). Doch technologische und wissenschaftliche Fortschritte machen Hoffnung, neue Wege zu finden, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Warum eignen sich das Auge und Netzhauterkrankungen besonders gut für Gentherapien? Welche Herausforderungen bringen diese gentechnischen Ansätze mit sich? Und wie kämpfen Unternehmen dafür, Blindheit zu heilen?

Das Auge: ein ideales Zielorgan für Gentherapie

Erkrankungen, die zur Erblindung führen, sind nicht die einzigen vererbbaren Krankheiten. Warum ist Gentherapie im Bereich des Auges also ein so heiß diskutiertes Thema im Vergleich zu anderen Organen? Der Grund ist, dass das Auge ein äußerst günstiges Umfeld sowohl für Untersuchungen als auch für die Durchführung der Therapie bietet.

Erstens ist das Auge ein leicht zugängliches Organ. Untersuchungen und chirurgische Eingriffe sind vergleichsweise einfach, da diese von außen vorgenommen werden können – meist ohne invasive Verfahren. Es ist zudem wichtig, den Krankheitsverlauf und die Wirksamkeit der Behandlung genau zu verfolgen. So können Ärzte beispielsweise Veränderungen des Auges beobachten und mithilfe von Netzhautbildgebung den Augenhintergrund sichtbar machen.

Zweitens ist die gute Zugänglichkeit des Auges auch vorteilhaft für die Verabreichung. In der Regel wird eine Nadel in das Auge eingeführt. Auch wenn dies ein invasiver Eingriff ist, betrifft er keine anderen Körperregionen.

Drittens ist das Auge ein sogenannter immunprivilegierter Bereich, der durch die Blut-Retina-Schranke geschützt ist. Das bedeutet, dass das Auge die Einführung von Antigenen tolerieren kann, ohne eine entzündliche Immunantwort auszulösen.

Und schließlich bestehen die Zielzellen innerhalb des Auges, die bei Gentherapien angesprochen werden, aus nicht teilenden Zellen. Das bedeutet, dass die Behandlung im Idealfall ein Leben lang wirksam bleibt.

Gentechnische Ansätze gegen Blindheit und Netzhauterkrankungen: eine wissenschaftliche, klinische und wirtschaftliche Herausforderung

Es besteht die Hoffnung, Blindheit durch eine gentechnische Behandlung heilen zu können, die die durch DNA-Mutationen im Auge verursachten Veränderungen korrigiert. Die Entwicklung einer solchen Gentherapie gegen Blindheit stellt die Wissenschaft, klinische Forschung und Unternehmen vor große Herausforderungen.

Wissenschaftliche Herausforderungen

Die wissenschaftliche Herausforderung liegt darin, eine geeignete Strategie zu finden, um die Mutation eines spezifischen Gens zu korrigieren. Rund 270 Gene sind mit vererbten Netzhauterkrankungen assoziiert – darunter RPE65, CEP290 oder RHO, die derzeit in klinischen Studien untersucht werden. Jedes dieser Gene ist auf spezifische Weise verändert. Eine vergleichsweise gut behandelbare Mutation ist der sogenannte „Loss-of-Function“-Typ, bei dem ein Gen stillgelegt ist. Hier kann eine Therapie darin bestehen, eine normale Kopie des Gens einzuschleusen, um das defekte Gen zu ersetzen. Dieser Ansatz ist derzeit am weitesten verbreitet, bringt jedoch eine wesentliche Einschränkung mit sich: Er ist nur bei kleinen Genen anwendbar, da das Trägermolekül, das zur Einschleusung des Gens ins Auge dient, nur begrenzten Platz bietet. Die bekannte Genschneidetechnologie CRISPR-Cas9 könnte deshalb eine Alternative darstellen, um Mutationen direkt zu korrigieren. Diese bahnbrechende Technologie kann zudem genutzt werden, um die Genexpression zu regulieren – was bei anderen Mutationstypen notwendig ist.

Klinische Herausforderungen

Sobald eine geeignete Strategie entwickelt wurde, muss die Therapie im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs ins Auge injiziert werden. Dabei wird eine Nadel verwendet – und das bringt mindestens drei große klinische Herausforderungen mit sich:

  • Frühere klinische Studien scheiterten an entzündlichen Reaktionen. Das Einbringen eines Fremdmoleküls kann eine Immunantwort im Auge auslösen.
  • Ein weiteres Problem: Viele Erbkrankheiten treten bereits früh im Leben auf – was Operationen erschwert. Die Augen von Säuglingen sind kleiner, und Kinder sind zu jung, um ihre Zustimmung zur Behandlung zu geben.
  • Zudem verlaufen viele dieser Krankheiten sehr langsam. Das bedeutet, dass Studien oft über einen sehr langen Zeitraum durchgeführt werden müssen.

Wirtschaftliche Herausforderungen

Auch aus wirtschaftlicher Sicht gibt es große Herausforderungen. Gene können nicht als geistiges Eigentum betrachtet werden – das bedeutet, dass mutierte Gene, die mit Krankheiten in Verbindung stehen, nicht lizenziert werden können. Stattdessen werden Technologien lizenziert – also die Strategien und Techniken zur Korrektur von Mutationen. Daher herrscht intensiver Wettbewerb rund um unterschiedliche Gene, da diese prinzipiell von jeder Firma untersucht und behandelt werden können.


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Ausblick auf gentechnische und alternative Behandlungen zur Heilung von Blindheit und Netzhauterkrankungen

Gentherapie ist ein vielversprechendes Feld bei erblich bedingten Netzhauterkrankungen. Kürzlich wurde von der US-amerikanischen FDA die erste Gentherapie für das RPE65-Gen bei LCA (Leber’sche kongenitale Amaurose) von Spark Therapeutics zugelassen. Unternehmen suchen nun nach neuen Genen und Erkrankungen, die mit innovativen Technologien und Strategien behandelt werden können.

Parallel zur Suche nach den idealen genetischen Zielstrukturen gibt es auch alternative Ansätze, die im Wettbewerb stehen. Vielversprechend ist zum Beispiel die Antisense-Therapie, etwa gegen das RHO-Gen bei Retinitis Pigmentosa oder gegen CEP290 bei LCA. Diese Methode kann als Gentherapie betrachtet werden, wirkt jedoch auf einer anderen Ebene innerhalb der Zelle. Antisense-Oligonukleotide beeinflussen die Expression von mRNA, also das Transkriptionsprodukt der DNA. Ziel ist es – ähnlich wie bei anderen Gentherapien – die Proteinexpression, das Endprodukt eines Gens, zu unterdrücken oder zu modulieren.

Auch pharmakologische Ansätze mit Wirkstoffmolekülen, Zelltherapien und Implantate tragen mit innovativen Therapieformen zur Bekämpfung von Blindheit bei.

Im Kampf gegen Blindheit und Netzhauterkrankungen ist die Gentherapie eine wachsende und vielversprechende Biotechnologie. Das Auge bietet dank seiner physiologischen Eigenschaften ein besonders geeignetes Umfeld für solche Therapien. Erbliche Augenerkrankungen werden durch eine Vielzahl von Genen verursacht. Die erste Herausforderung besteht darin, das richtige Gen mit einer passenden therapeutischen Strategie zu identifizieren. In klinischen Studien gilt es dann, Entzündungen nach der Verabreichung zu vermeiden, sehr junge Patienten zu behandeln und den langsamen Verlauf der Erkrankungen zu berücksichtigen. Trotz aller Hürden ist die Gentherapie ein wettbewerbsintensives Feld der Augenheilkunde. Neben der Gentherapie werden auch pharmakologische Ansätze, Zelltherapien und Implantate intensiv erforscht. Der wirtschaftliche Erfolg für diejenigen, die den Durchbruch schaffen, dürfte groß sein – und der Einfluss auf die Lebensqualität von Menschen mit Sehbehinderung hoffentlich ebenso.

Ist Ihr Unternehmen im Bereich Gentherapie aktiv? Wir begleiten Sie gerne dabei, die Chancen im Bereich der Augenheilkunde und darüber hinaus zu erkunden. Kontaktieren Sie unser Team.


Über die Autoren, 

Christina, Consultant und Quentin, Project Manager in Alcimed’s Healthcare Team in der Schweiz
Benjamin, Great Explorer Digital Health in Alcimeds Healthcare Team in Frankreich

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