Was ist Adipositas und welche Rolle spielt das Gehirn bei dieser Erkrankung?
Laut WHO ist Adipositas „eine komplexe chronische Erkrankung, die durch eine übermäßige Ansammlung von Fettgewebe gekennzeichnet ist und die Gesundheit beeinträchtigen kann“. Diese multifaktorielle Krankheit erhöht das Risiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zu entwickeln. Sie ist das Ergebnis eines übermäßigen Konsums von Fett und Zucker und führt dazu, dass das Gehirn sowie dessen Regulationssysteme ständig gefordert sind. Sind diese Systeme gestört, kann dies schwerwiegende Auswirkungen auf den Körper haben und das Auftreten weiterer Krankheiten und insbesondere Komorbiditäten begünstigen.
Beispielsweise regt ein langfristiger Konsum gesättigter Fettsäuren die Produktion von Zytokinen an – Proteine, die Signale des Immunsystems weitergeben. Diese wiederum aktivieren Entzündungsmediatoren im Hypothalamus. Eine unkontrollierte Aktivierung dieser Mediatoren kann zu Insulin- oder Leptinresistenz führen, was die Speicherung von Triglyzeriden im Körper fördert und das Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes erhöht.
Auch ein übermäßiger Zuckerkonsum steht in direktem Zusammenhang mit Adipositas und beeinflusst ebenfalls den Hypothalamus – die Hirnregion, die für die metabolische und hormonelle Regulation zuständig ist.
Untersuchungen zeigen, dass eine kalorienreiche Ernährung die Produktion von Mikrogliazellen – der ersten „Verteidigungslinie“ des Immunsystems im Gehirn – steigert. Diese Überproduktion löst im Hypothalamus eine Entzündungsreaktion aus, die zu neuronalen Funktionsstörungen im Energiestoffwechsel führen kann, was wiederum das Risiko für kardiometabolische Erkrankungen erhöht.
Welche Auswirkungen hat Adipositas auf die Psyche?
Zusätzlich zu den körperlichen Begleiterkrankungen erhöht Adipositas auch das Risiko für Depressionen und Angststörungen – abhängig vom Ausmaß der metabolischen Störung. Es besteht ein nachgewiesener wechselseitiger Zusammenhang zwischen dem Body-Mass-Index (BMI) und Depressionen – sowohl bei Frauen als auch bei Männern: Je höher der BMI, desto größer das Risiko, Depressionen oder Angststörungen zu entwickeln.
Auswirkungen auf das Gehirn
Der Anstieg des Risikos für Depressionen und Angststörungen hängt direkt mit den Auswirkungen einer fett- und zuckerreichen Ernährung auf das Gehirn zusammen. Studien haben gezeigt, dass eine langfristige fettreiche Ernährung (HFD – High-Fat Diet) zu depressivem und ängstlichem Verhalten sowie zu neurokognitiven Beeinträchtigungen führen kann.
Die übermäßige Entzündungsreaktion, ausgelöst durch den übermäßigen Konsum von Zucker und Fett, hat direkte Auswirkungen auf Stimmungsschwankungen, Angst und Depressionen. Mehrere Studien haben den Zusammenhang zwischen Entzündungen und Depressionen belegt – insbesondere den Einfluss von Zytokinen auf die Entwicklung depressiver Zustände. Diese Botenstoffe verändern eine Vielzahl pathogener Mechanismen der Depression, etwa die Ausschüttung von Neurotransmittern, die neuroendokrine Funktion, die synaptische Plastizität sowie die Aktivität der Basalganglien. Die Ähnlichkeiten zwischen durch Zytokine ausgelösten Symptomen und schweren Depressionen unterstreichen die Rolle von Entzündungen bei der Entstehung depressiver Störungen – und die antientzündliche Wirkung wirksamer Antidepressiva.
Psychologische und soziale Auswirkungen
Neben den körperlichen Folgen hat Adipositas auch gravierende soziale und psychologische Auswirkungen. Ein gestörtes Selbstbild ist häufig, und wiederholte Misserfolge bei Diäten oder Behandlungen verschärfen die Situation, indem sie das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl weiter schwächen.
Darüber hinaus hat die starke Stigmatisierung von übergewichtigen oder adipösen Menschen schwerwiegende Konsequenzen für deren Lebensqualität und psychische Gesundheit. Eine französische Studie aus dem Jahr 2019 zeigte, dass 45 % der Befragten der Meinung waren, Adipositas sei auf mangelnden Willen zurückzuführen. Erschreckenderweise vertraten selbst übergewichtige oder adipöse Personen teilweise diese Ansicht – ein Beleg für die Verinnerlichung solcher Vorurteile. Diese Einstellungen wirken sich auf alle Lebensbereiche aus – vom Privatleben bis zum Berufsleben. So geben adipöse Frauen achtmal häufiger als Frauen mit durchschnittlichem BMI an, aufgrund ihres Aussehens diskriminiert worden zu sein. Diskriminierung bei Bewerbungen, Mobbing, Ausgrenzung – all dies beeinträchtigt die psychische Gesundheit und Lebensqualität Betroffener und kann zu Essstörungen führen.
Welche Ansätze gibt es zur Prävention psychischer Risiken bei Übergewicht und Adipositas?
Um Betroffene optimal zu begleiten, braucht es einen ganzheitlichen Behandlungsansatz, der alle Dimensionen ihres Lebens berücksichtigt: persönliche, berufliche, gesellschaftliche, medizinische und wirtschaftliche Aspekte.
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Aus medizinischer Sicht ist es entscheidend, dass Betroffene interdisziplinär betreut werden – sowohl hinsichtlich der Ursachen als auch der Folgen der Adipositas: Hausärzte, Endokrinologen, Ernährungsberater sowie Psychologen oder Psychiater sollten gemeinsam in die Behandlung eingebunden werden.
Regelmäßiges Screening auf psychische Störungen und frühzeitige psychologische oder psychiatrische Unterstützung können irreversible Schäden vermeiden helfen. Ist ein psychisches Leiden erkannt, sind gezielte psychologische Unterstützungsangebote essenziell – zum Beispiel durch Einzelgespräche mit einem Psychologen oder Coach für positive Psychologie, oder durch Selbsthilfegruppen.
Um Stigmatisierung und Diskriminierung von übergewichtigen Menschen wirksam zu bekämpfen, ist es außerdem notwendig, sowohl die breite Öffentlichkeit als auch das medizinische Fachpersonal für die Thematik zu sensibilisieren – beispielsweise durch Aufklärungsarbeit oder Anti-Diskriminierungs-Maßnahmen.
Adipositas ist eine multifaktorielle Erkrankung mit weitreichenden Auswirkungen auf die psychische Gesundheit: Sie fördert das Auftreten von Angststörungen und Depressionen. Die Betroffenen geraten in einen Teufelskreis: Depression und Angst verstärken den Konsum fett- und zuckerreicher Produkte, das Selbstbild verschlechtert sich, Unsicherheiten nehmen zu – und die erlebte Stigmatisierung verschärft psychische Probleme wie etwa die Entstehung von Essstörungen. Eine frühzeitige psychologische Betreuung von Betroffenen ist daher unerlässlich.
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Über die Autorin,
May-Lise, Consultant in Alcimeds Helathcare Team in Frankreich