Die Einführung und Nutzung neuer Medikamente stand lange im Mittelpunkt der Marketingstrategien von Pharmaunternehmen, da die ersten Jahre der Vermarktung die Möglichkeit bieten, die mit dem Patentschutz verbundenen Exklusivrechte auszuschöpfen. Zunehmend richten Hersteller jedoch ihre Aufmerksamkeit auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit etablierten Arzneimitteln, die für langfristige Umsätze von zentraler Bedeutung sind. In diesem Artikel analysieren wir von Alcimed die Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung der Umsätze dieser etablierten Medikamente sowie die Hebel, mit denen sich diese verbessern lassen.
Der Rückgang der Einnahmen aus bereits etablierten Produkten – verursacht durch die Einführung neuer Medikamente und Generika/Biosimilars sowie durch interne Einschränkungen wie begrenzte Marketingbudgets – stellt für viele Akteure der Pharmaindustrie eine große Herausforderung dar. Glücklicherweise gibt es innovative Ansätze wie ein effektives Produktlebenszyklusmanagement, Portfolio-Strategien, rechtliche und kommerzielle Maßnahmen oder neue Wege der Interaktion mit medizinischem Fachpersonal, die genutzt werden können.
Hindernisse für langfristige Umsätze durch etablierte Medikamente hängen häufig mit der Einführung neuer Wirkstoffe und neuer Therapielinien zusammen. Eine Möglichkeit zur weiteren Nutzung etablierter Medikamente besteht daher darin, neue und spezifischere Patientengruppen anzusprechen. Auf Basis eines durchdachten Lebenszyklusmanagements können Pharmaunternehmen zudem von ihrem Produktportfolio profitieren, indem sie den Mehrwert möglicher Kombinationen der von ihnen vermarkteten Arzneimittel ausschöpfen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Krebsbehandlung, bei der Chemotherapien früher im Vordergrund standen, sich jedoch zunehmend Immuntherapien durchsetzen (weltweit befinden sich mehr als 1.000 entsprechende Medikamente in der klinischen Entwicklung, auf dem Markt oder in Vorbereitung). Dieser Wandel sollte bei der Festlegung der Strategie für etablierte Chemotherapien berücksichtigt werden. So bleibt etwa Roches Avastin®, das seit 2004 bei verschiedenen Krebsarten eingesetzt wird, weiterhin ein zentraler Wachstumstreiber des Unternehmens mit einem Verkaufszuwachs von 3 % im Jahr 2018. Die Strategie von Roche für dieses Medikament umfasst neue Zulassungen für spezifische Patientengruppen (z. B. eine Form von Eierstockkrebs) oder den Einsatz in Kombination mit Immuntherapien (z. B. Tecentriq®).
Neben neuen Medikamenten spielen auch Generika und Biosmilars eine Rolle – insbesondere, weil nationale Gesundheitsbehörden diese zunehmend fördern, die auf eine Senkung der Gesundheitsausgaben abzielen.
In Frankreich beispielsweise werden Quoten festgelegt, um es Krankenhäusern zu ermöglichen, den Anteil von Biosimilars bei Verschreibungen zu erhöhen. Ziel ist es, eine Marktdurchdringung von 80 % bis 2022 zu erreichen. Infolgedessen stiegen die Verkäufe von Biosimilars im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 um 71 %, vor allem durch Verschreibungen in Krankenhäusern.
Das Aufkommen von Biosimilars gefährdet den Absatz der Originalpräparate erheblich. Dennoch können Maßnahmen wie ein sorgfältiges Monitoring der regulatorischen Entwicklungen und Strategien zum Patentschutz ergriffen werden.
Zwei emblematische Beispiele sind die beiden führenden Produkte zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen: Humira® von AbbVie und Enbrel® von Pfizer und Amgen (beide zählten 2018 zu den fünf umsatzstärksten Medikamenten weltweit). Beide Unternehmen konnten in den USA eine Patenterweiterung bis 2023 durchsetzen.
Eine weitere Strategie, die einige Pharmaunternehmen verfolgen, besteht darin, eigene Biosimilars auf den Markt zu bringen, um von aktuellen Trends zu profitieren. So hat Eli Lilly kürzlich die Einführung eines deutlich günstigeren Biosimilars seines Insulins Humalog angekündigt.
Etablierte Arzneimittel bilden die Grundlage für den Ruf von Pharmaunternehmen und für das Image, das sie bei medizinischem Fachpersonal genießen. Daher ist es unerlässlich, die Kommunikation mit Ärzten über diese Produkte aufrechtzuerhalten, um deren sachgerechte Anwendung zu sichern und die Ergebnisse klinischer sowie Beobachtungsstudien im Rahmen des Lebenszyklusmanagements zu nutzen. Allerdings sind die Marketing- und Vertriebsbudgets viele Unternehmen zunehmend begrenzt – insbesondere für diese Art von Produkten.
Laut Séverine Robineau, Leiterin der Healthcare Abteilung bei Alcimed, „wollen Pharmaunternehmen heute eine optimierte Präsenz im Außendienst beibehalten und setzen dabei zunehmend auf digitale Lösungen, um ihre Vertriebsaktivitäten und die Interaktion mit medizinischem Fachpersonal zu organisieren.“
Auch wenn Ärzte persönliche Besuche nach wie vor als wichtigsten Informationskanal für neue Medikamente bevorzugen, nimmt die Relevanz dieses Kanals ab, sobald ein Medikament bereits seit Jahren auf dem Markt ist. Eine 2018 in den USA durchgeführte Umfrage zeigte, dass digitale Kommunikation für Ärzte wichtiger ist als Besuche von Pharmareferenten.
„Um sich an den Zeitmangel der Ärzte und die zunehmende Verfügbarkeit medizinischer Informationen im Internet anzupassen, führen Pharmaunternehmen virtuelle Besuche ein oder erwägen, die Rollen von Pharmareferenten und MSLs (Medical Science Liaisons) zu kombinieren“, kommentiert Maryia Dvaretskaya, Managerin bei Alcimed.
Es gibt zahlreiche Hebel, um die mit etablierten Arzneimitteln verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Hersteller sollten das Umfeld genau beobachten, insbesondere die potenziellen Maßnahmen von Regulierungsbehörden, Kostenträgern und Wettbewerbern sowie den Bedarf von medizinischem Fachpersonal, um die besten Entwicklungsszenarien frühzeitig zu erkennen und die optimale Strategie zu definieren.