Healthcare

5 Gründe, warum Human Factors Engineering wichtig für die Entwicklung medizinischer Geräte ist

Veröffentlicht am 28 April 2025 Lesen 25 min

Da die Patientensicherheit eine zentrale Rolle bei medizinischen Innovationen spielt, ist Human Factors Engineering (HFE) zu einem zentralen Thema im sich wandelnden Gesundheitswesen geworden. HFE beschäftigt sich mit den komplexen Wechselwirkungen zwischen Menschen und Gesundheitssystemen, mit dem Ziel, Prozesse zu optimieren, Fehler zu reduzieren und die Patientensicherheit insgesamt zu verbessern. Durch die Fokussierung auf nutzerzentriertes Design trägt HFE maßgeblich dazu bei, ein sicheres Umfeld im Gesundheitswesen zu schaffen. In diesem Artikel beleuchten wir von Alcimed das Thema Human Factors Engineering genauer und zeigen die damit zusammenhängenden Vorteile auf.

Was ist Human Factors Engineering (HFE)?

Human Factors Engineering (auch bekannt als Usability Engineering oder Ergonomics) ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das die Fähigkeiten und Einschränkungen von Nutzern – wie Ermüdung, kognitive Belastung oder Ablenkungen – in die Produktentwicklung integriert, um Produkte zuverlässiger, sicherer und benutzerfreundlicher zu gestalten.

Von der Analyse der Nutzer und ihrer Umgebung bis hin zu Nutzertests sind HFE-Aktivitäten integraler Bestandteil des Risikomanagementprozesses. Im Fokus stehen dabei Nutzungsfehler und Fehlanwendungen – im Gegensatz zu „Anwenderfehlern“, bei denen die Verantwortung dem Nutzer zugeschrieben wird, wird hier das Design des Geräts selbst kritisch betrachtet.

5 Gründe, warum die Integration von HFE in die Entwicklung medizinischer Geräte das Gesundheitswesen verbessert

Im Gesundheitswesen liegt die Bedeutung von Human Factors Engineering (HFE) vor allem in der Vermeidung von Anwendungsfehlern bei medizinischen Geräten – Fehler, die schwerwiegende Folgen haben können. Während das Risiko eines Schadens im Flugverkehr etwa 1 zu 1 Million beträgt, liegt es bei der Nutzung medizinischer Geräte bei etwa 1 zu 300. Gründe dafür sind unter anderem lange Schichten, komplexe medizinische Verfahren und der hohe Druck, welcher mit der Verantwortung für das Leben von Patienten einhergeht.

Das schnelle Tempo im Gesundheitswesen erfordert Geräte, die einfach zu verstehen und zu bedienen sind, da die Schulungszeiten oft begrenzt sind. HFE ist auch im Bereich nicht-technologischer Systeme, etwa in Bezug auf User Journeys und die Nutererfahrung, von Nutzen –  die Überprüfung ist aber nur für medizinische Geräte vorgeschrieben. Im Folgenden erläutern wir die fünf Hauptgründe, warum die Integration von HFE in die Entwicklung medizinischer Geräte die Patientensicherheit verbessert.

Grund Nr. 1: Die Berücksichtigung menschlicher Faktoren beschleunigt die Zulassung

HFE fördert die Entwicklung intuitiver und benutzerfreundlicher Medizingeräte, verringert die kognitive Belastung senkt die Fehlerwahrscheinlichkeit – ein entscheidender Faktor bei der Prüfung durch Regulierungsbehörden.

Um HFE systematisch in die Entwicklung medizinischer Geräte einzubeziehen, hat die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) die Norm IEC 62366 entwickelt. Um diese Norm zu erfüllen, müssen Hersteller eine umfassende Usability-Bewertung in ihren Risikomanagementprozess integrieren. Auch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat einen Leitfaden herausgegeben, in dem die Anforderungen an ein entsprechendes Usability-Dokument konkretisiert wurden – ein Dokument, das auch für die CE-Kennzeichnung notwendig ist.

Hersteller, die keine HFE-Experten einbeziehen, haben oft Schwierigkeiten, ein konformes Usability-Dokument zu erstellen. Dies kann zu Verzögerungen bei der Zulassung durch Behörden wie die FDA oder die MDR oder beim Erhalt der CE-Kennzeichnung führen. Unternehmen hingegen, die frühzeitig in HFE investieren, profitieren von einer verkürzten Markteinführungszeit.

Grund Nr. 2: Human Factors Engineering spart Kosten entlang des gesamten Produktlebenszyklus

Die iterative Prototypentwicklung und regelmäßige Nutzertests, die zum HFE-Ansatz gehören, ermöglichen es, potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen und Designanpassungen optimal umzusetzen.

Diese nutzerzentrierte Vorgehensweise minimiert nicht nur kostspielige Änderungen zu späteren Zeitpunkten in der Entwicklung, sondern führt auch zu intuitiven Designs, die den Schulungsbedarf für medizinisches Fachpersonal und Patienten senken sowie Support- und Wartungskosten reduzieren. Zudem sinkt das Risiko von Produktrückrufen erheblich, da benutzerbedingte Fehler frühzeitig berücksichtigt werden.

Ein von Medline Industries hergestellter Rollstuhl wurde beispielsweise zurückgerufen, weil sich einige Nutzer beim Öffnen der Sitzstreben die Finger eingeklemmt hatten – teilweise mit schweren Verletzungen wie Brüchen oder Abtrennungen. Ein HFE-Team hätte eine umfassende Analyse der Nutzung des Rollstuhls erstellt, potenzielle Fehlerquellen identifiziert und deren Folgen bewertet – wodurch solche Risiken und die damit verbundenen Rückrufkosten hätten vermieden werden können.

Grund Nr. 3: Die Integration von Human Factors Engineering verbessert Patientenergebnisse

Ein medizinisches Gerät, das wirklich die Bedürfnisse und Erwartungen der Patienten erfüllt, trägt wesentlich zu einer besseren Therapietreue bei. Wenn Patienten Geräte leicht verstehen und bedienen können, beteiligen sie sich aktiver an ihrer Behandlung – was letztlich zu besseren gesundheitlichen Ergebnissen führt.

Beim Abbott FreeStyle Navigator kam es zu einem Rückruf, da die Einheiten für die Blutzuckermessung auf mmol/L voreingestellt waren, obwohl in manchen Ländern mg/dL üblich sind. Diese Verwechslung führte zu falschen Insulindosierungen mit schweren Hypoglykämien als Folge. Durch eine einfache Kontextanalyse in den verschiedenen Ländern hätte dieses Risiko vermieden werden können.


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Grund Nr. 4: Human Factors Engineering verbessert die Nutzererfahrung von medizinischem Fachpersonal

HFE trägt auch zur besseren Integration von medizinischen Geräten in bestehende Arbeitsabläufe bei: Benutzerfreundliche Produkte reduzieren die kognitive Belastung und den Stress des medizinischen Personals, sodass es sich stärker auf die Patientenversorgung konzentrieren kann. Beispielsweise können Fehlverbindungen von Schläuchen und Kabeln im Krankenhaus durch eindeutige, passgenaue Steckverbindungen vermieden werden. Auch intuitive Geräte wie gut gestaltete Defibrillatoren verkürzen die Einarbeitungszeit, ohne dabei Sicherheitsrisiken zu verursachen.

Der Rückruf der Bausch & Lomb 19G Standard 30 Phaco Needle erfolgte, weil bei der Montage Kunststoffpartikel entstehen konnten, die ins Auge des Patienten gelangen und Komplikationen verursachen konnten. Diese Art von Fehler hätte durch bessere Anweisungen, Beschriftungen, Schulungen und zusätzliche HFE-Tests vermieden werden können.

Grund Nr. 5: ein durch Human Factors Engineering verbessertes Produktdesign stärkt den Markterfolg

Durch die frühzeitige Einbindung von Endanwendern in den Entwicklungsprozess und die Umsetzung ihres Feedbacks stellt HFE sicher, dass die Geräte genau auf deren Bedürfnisse und Anforderungen abgestimmt sind.

Benutzerzentriertes Design wird so zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil und führt zu höherer Kundenzufriedenheit, schnellerer Marktakzeptanz und langfristiger Kundenbindung. Zudem tragen die geringeren Risiken in Bezug auf Fehlfunktionen und Rückrufe zum Schutz der Markenreputation bei.

Ein konsequenter Fokus auf Benutzerfreundlichkeit und Patientensicherheit schafft Vertrauen bei Patienten und medizinischem Personal – und positioniert das Gerät als bevorzugte Wahl im Markt.

Patientensicherheit und Therapieerfolg stehen im Zentrum jeder medizinischen Innovation. Durch die direkte Berücksichtigung und Analyse des Nutzungskontextes erlaubt Human Factors Engineering ein tiefgreifendes Verständnis der Bedürfnisse von Patienten und medizinischem Fachpersonal. Auf der Basis entsprechender Risikobewertungen und Nutzertests können benutzerfreundliche, effiziente und fehlertolerante Geräte entwickelt werden. Die Einhaltung der IEC 62366 Norm beschleunigt nicht nur die Zulassung und die Markteinführung, sondern senkt auch Entwicklungs- und Supportkosten – einschließlich der Kosten potenzieller Rückrufe. Eine verbesserte Patientensicherheit und Nutzererfahrung fördern die Akzeptanz neuer Produkte auf dem Markt und verbessern sowohl die Therapietreue als auch die gesundheitlichen Ergebnisse für die Patienten.

Wir von Alcimed verfolgen weiterhin die rasante Entwicklung im Bereich Human Factors Engineering und begleiten Sie gerne bei Ihren Projekten. Kontaktieren Sie unser Team!


Über die Autorin, 

Elise, Consultant in Alcimeds Healthcare Team in Frankreich

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