Healthcare

Rückverlagerung der Pharmaindustrie nach Frankreich: Welche Herausforderungen gibt es im Kontext der COVID-19-Pandemie?

Veröffentlicht am 12 November 2020 Lesen 25 min

Am 18. Juni 2020 stellte der französische Minister für Solidarität und Gesundheit, Olivier Véran, und die Staatssekretärin beim französischen Wirtschafts- und Finanzminister, Agnès Pannier-Runacher, einen Aktionsplan zur Rückverlagerung der Gesundheitsindustrie nach Frankreich vor. Im Rahmen dieses Plans wurden sechs Projekte ausgewählt, auf die ein Budget von 78 Millionen Euro aufgeteilt wird, um verschiedene therapeutische Ansätze (Impfstoffe, antivirale Medikamente usw.) und technologische Verfahren (Chemie, Biotechnologie usw.) im Zusammenhang mit COVID-19 abzudecken. Parallel dazu startete Bpifrance den Aufruf zur Interessenbekundung „Capacity“, der die Schaffung neuer Produktionskapazitäten oder die Anpassung bestehender Produktionslinien mit mehr Flexibilität finanzieren soll, um schnell wirksame Lösungen gegen COVID-19 in die Produktion zu bringen. Auch wenn diese Ankündigungen auf ein bereits seit Langem bekanntes Problem im Gesundheitssektor hinweisen, reichen sie allein nicht aus, um Frankreichs Abhängigkeit von anderen Ländern im Bereich der Arzneimittelproduktion nachhaltig zu verringern.

Frankreichs Abhängigkeit im Arzneimittelbereich: eine seit Langem bekannte und im Gesundheitssektor weit verbreitete Erkenntnis

Aktuell wird geschätzt, dass lediglich 30 % der Generika, 27 % der Impfstoffe und 17 % der wichtigsten in Krankenhäusern eingesetzten Medikamente in Frankreich produziert werden.

Ein Großteil der Medikamente, Wirkstoffe und Rohstoffe wird im Ausland hergestellt, insbesondere in China und Indien. Obwohl es in Frankreich 271 Arzneimittelproduktionsstätten gibt, wird der Großteil der Arzneimittel der Produktion importiert, was Frankreich stark von internationalen Lieferketten abhängig macht.

Diese Tatsache ist den wichtigsten Akteuren im Gesundheitswesen seit Jahren bekannt und wurde immer wieder betont. So veröffentlichte der französische Verband der Pharmaunternehmen (Leem) am 19. Februar 2019 bereits einen Bericht mit dem Titel „Engpässe bei Medikamenten: Der Aktionsplan von Leem“, in dem eine umfassende Bestandsaufnahme der Medikamentenengpässe vorgenommen und ein konkreter Maßnahmenplan zu deren Behebung vorgeschlagen wurde. Ebenso beauftragte der Premierminister am 30. September 2019 Jacques Biot mit der Ausarbeitung eines Aktionsplans zur „Reduzierung von Engpässen bei lebenswichtigen Arzneimitteln“.

Vor diesem Hintergrund hat die Gesundheitskrise den dringenden Bedarf offenbart, die Autonomie bei der Versorgung mit Medikamenten und Medizinprodukten zu stärken – und zum ersten Mal wurden auch konkrete Antworten auf die bereits seit Jahren formulierten Forderungen des Gesundheitssektors geliefert.

Die Rückverlagerung der Pharmaindustrie: Regierung und Gesundheitssektor haben bereits Maßnahmen eingeleitet

Der erste Schritt bestand darin, eindeutig zu identifizieren, welche Medikamente und Produkte als strategisch und essenziell gelten. Es ist unrealistisch, eine industrielle Autonomie für das gesamte Arzneibuch anzustreben – strategische Entscheidungen müssen getroffen werden, um einen sicheren Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten zu gewährleisten. Daher hat die Regierung bereits eine (nicht abschließende) Liste von Arzneimitteln erstellt, die in der Behandlung von COVID-19-Patienten eingesetzt werden und für die Investitionen in die Rückverlagerung von Entwicklung und Produktion nach Frankreich – oder zumindest nach Europa – erfolgen könnten. Ein Interessenaufruf in Höhe von 120 Millionen Euro wurde veröffentlicht, um vorrangige Projekte zu identifizieren, die rasch zur Produktionssteigerung beitragen können, insbesondere bei Medikamenten zur Behandlung von COVID-19. Insgesamt wurden rund 200 Millionen Euro für die Entwicklung dieser Projekte mobilisiert.

Weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Rückverlagerung der Pharmaindustrie wurden vorgeschlagen, aber bislang nicht offiziell angekündigt. So reichte etwa die EU-Abgeordnete Nathalie Colin-Oesterlé am 29. April 2020 einen Initiativbericht ein, in dem sie empfahl, die Versorgungssicherheit als vorrangiges Kriterium bei öffentlichen Ausschreibungsverfahren zu berücksichtigen.

Über die Rückverlagerung hinaus: weitere Hebel müssen aktiviert werden

Die Rückverlagerung der Arzneimittelproduktion nach Frankreich ist zweifellos der dringendste Hebel, um die Versorgungsketten zu sichern und die nationale Souveränität in diesem Bereich zu stärken. Gleichzeitig muss jedoch berücksichtigt werden, dass auch Europa eine zentrale Rolle in dieser industriellen Dynamik spielt. Der freie Warenverkehr innerhalb der EU, die Wettbewerbsregeln und das zentralisierte Verfahren zur Arzneimittelzulassung machen eine europäische Zusammenarbeit unverzichtbar.

Darüber hinaus dürfen die großen Ankündigungen der Regierung nicht von anderen möglichen Hebeln zur Sicherung der Lieferketten ablenken. So könnten zum Beispiel steuerliche Maßnahmen die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der EU verbessern. Oder man könnte für besonders reife Produkte, deren Preise aufgrund ungünstigerer Rückerstattungsbedingungen sinken, eine wirtschaftliche Nachhaltigkeit garantieren. Ein weiterer Vorschlag wäre die Einrichtung einer europäischen Arzneimittelreserve für gesundheitlich und strategisch relevante Produkte nach dem Vorbild des von der Europäischen Kommission geschaffenen Mechanismus „rescEU“. Ziel wäre es, auf europäischer Ebene einen gemeinsamen Katalog an vorrangigen Medikamenten und Impfstoffen zu definieren und die Preise dieser essenziellen Produkte zu harmonisieren. Diese Reserve würde es den Mitgliedstaaten ermöglichen, auf potenzielle Versorgungsengpässe zu reagieren.

Im Gesundheitssektor war die wichtigste Folge der COVID-19-Krise der Beginn der Rückverlagerung der Produktion wichtiger Arzneimittel nach Frankreich, um die Abhängigkeit von anderen Ländern zu verringern und den gesundheitlichen Versorgungsbedarf der Bevölkerung besser zu decken. Das erste Beispiel dieser von der Regierung angestoßenen Strategie ist die geplante Rückverlagerung der Paracetamol-Wirkstoffproduktion innerhalb von drei Jahren. Dennoch reichen diese Schritte allein nicht aus: Die Sicherung der Arzneimittelversorgung muss auf europäischer Ebene erfolgen und sich auf weitere Hebel als nur die Rückverlagerung stützen.


Über die Autorin, 

Agnès, Project Manager in Alcimeds Innovations- und Public Policy Team in Frankreich

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