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Die Vorteile und Herausforderungen der Telechirurgie zur Überwindung des Mangels an medizinischem Personal in abgelegenen Regionen

Veröffentlicht am 30 August 2024 Lesen 25 min

Telechirurgie, auch als Fernchirurgie bekannt, bezeichnet die Verbindung von Kommunikationsnetzen und Telerobotiksystemen in der Chirurgie. Diese revolutionäre Technologie ermöglicht es Chirurgen, Operationen aus der Ferne durchzuführen und so die Herausforderungen im Zusammenhang mit großen geografischen Distanzen zu überwinden. Auf diese Weise kann chirurgische Versorgung auch in abgelegene und bisher unterversorgte Regionen gebracht werden. In diesem Artikel beleuchten wir von Alcimed die Entwicklung der Telechirurgie – von ihren Anfängen bis zum heutigen Stand – und betrachten die möglichen Vorteile sowie die Herausforderungen dieses innovativen Bereichs.

Die Entwicklung der Telechirurgie seit den 1970er-Jahren

Die Entwicklung der Telechirurgie ist von bedeutenden Meilensteinen geprägt. Erste Untersuchungen zu diesem Konzept wurden in den 1970er-Jahren von der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA angestellt, wobei der Fokus auf dem möglichen Einsatz bei Astronauten im Orbit lag.

In den 1980er- und 1990er-Jahren wurden mit dem Aufkommen der telerobotischen Chirurgie wichtige Fortschritte in Richtung Telechirurgie erzielt. Die erste telerobotische Operation fand 1985 statt: Ein chirurgischer Roboter (PUMA 560 von Unimation) wurde bei einer Gehirnbiopsie eingesetzt, um durch Handzittern verursachte Bewegungen der Chirurgen zu reduzieren. In den frühen 1990er-Jahren folgte die Entwicklung von ROBODOC (Integrated Surgical Solutions, Inc. und IBM), der 1992 erfolgreich zur Vorbereitung des Oberschenkelknochens für eine Hüftprothese bei menschlichen Patienten eingesetzt wurde. Bis Ende der 1990er-Jahre entwickelten Ingenieure hochmoderne Systeme wie das da Vinci Surgical System, AESOP und Zeus, die laparoskopische Technologie mit chirurgischen Robotern kombinierten, um die Präzision und Ergebnisse chirurgischer Eingriffe zu verbessern.

Ein entscheidender Moment in der Entwicklung der Telechirurgie war die erste transatlantische „ferngesteuerte“ Operation, bekannt als „Lindbergh-Operation“. Im Jahr 2001 führte ein Team französischer Chirurgen in New York erfolgreich eine vollständige Teleoperation an einem Patienten in Straßburg (Frankreich) durch. Die Operation, benannt nach dem historischen Transatlantikflug von Charles Lindbergh, zeigte das Potenzial ferngeführter chirurgischer Eingriffe. Ermöglicht wurde dieser Erfolg durch das Zeus Robotic Surgical System von Computer Motion sowie eine durchgehende Hochgeschwindigkeits-Glasfaserverbindung von France Telecom, die Zeitverzögerungen minimierte und so eine präzise Steuerung der chirurgischen Instrumente in Echtzeit ermöglichte.

Im Jahr 2008 bestätigten Machbarkeitsstudien die Sicherheit und Zuverlässigkeit der robotergestützten Telechirurgie. Die Studien bewerteten die Praktikabilität und Effektivität von Fernoperationen und zeigten, dass Telechirurgie eine sichere Methode zur Durchführung chirurgischer Eingriffe sein kann.

Heute befindet sich die medizinische Telechirurgie auf ihrem Höhepunkt! Dank bemerkenswerter technologischer Fortschritte ermöglicht sie Chirurgen ein effizienteres und ergonomisch optimiertes Arbeiten.

Ein Blick in die Zukunft: Am 10. Februar 2024 absolvierte SpaceMIRA, ein 1 kg schweres chirurgisches Gerät, erfolgreich eine chirurgische Simulation an Bord der Internationalen Raumstation (ISS). Sechs Chirurgen steuerten den Roboter aus den USA mithilfe von Hand- und Fußkontrollen und präparierten in Schwerelosigkeit elastisches Gewebe präzise mit einer Schere. Die Operation zeigte jedoch eine halbe Sekunde Verzögerung, was verdeutlicht, dass die Telechirurgie im All noch Entwicklungspotenzial bietet.

4 Vorteile der Telechirurgie

Vorteil Nr. 1: hochwertige chirurgische Versorgung in medizinisch unterversorgte Regionen

Telechirurgie überwindet geografische Barrieren und ermöglicht den Zugang zu hochwertiger chirurgischer Versorgung in abgelegenen Regionen, z. B. in ländlichen Gebieten oder militärischen Einsatzgebieten.

Vorteil Nr. 2: Reduzierung der Risiken und Kosten durch lange Anfahrten der Patienten

Telechirurgie macht aufwendige und kostenintensive Fahrten zu spezialisierten medizinischen Zentren überflüssig. Zudem ermöglicht sie eine zeitnahe Versorgung, wodurch Behandlungsverzögerungen und mit Reisen verbundene Risiken vermieden werden. Frühzeitige Eingriffe sowie weniger Stress und Unannehmlichkeiten für Patienten können den Behandlungserfolg verbessern.

Vorteil Nr. 3: rehöhte Präzision durch fortschrittliche Technologie

Die Integration fortschrittlicher haptischer Rückmeldetechnologie hat die Präzision der Telechirurgie erheblich verbessert. Haptisches Feedback beschreibt das Tastempfinden, das Chirurgen während des Eingriffs vermittelt wird, wodurch sie Berührungen ähnlich wie bei herkömmlichen Operationen wahrnehmen können. Dies ermöglicht eine äußerst präzise und kontrollierte Durchführung von Operationen.

Vorteil Nr. 4: Förderung der Zusammenarbeit zwischen chirurgischen Fachkräften

Telechirurgie erleichtert auch die Zusammenarbeit zwischen Spezialisten. 2014 führten Shenai et al. VIP (Virtual Interactive Presence) ein – eine innovative Technologie, die es Neurochirurgen ermöglicht, mittels gemeinsamer 3D-Visualisierung über hochauflösende Binokulare zusammenzuarbeiten. Auf diese Weise konnten sie erfolgreich Kraniotomien und Eingriffe an der Zirbeldrüse an einem menschlichen Präparat durchführen. VIP bietet nicht nur Vorteile für die Patientenversorgung, sondern auch für die chirurgische Aus- und Weiterbildung durch die Echtzeit-Interaktion zwischen Fachärzten verschiedenster Disziplinen und Standorte.


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Welche Herausforderungen bestehen noch im Bereich der Telechirurgie?

Trotz der jüngsten Fortschritte und vielfältigen Vorteile bestehen weiterhin Herausforderungen wie Latenzprobleme, rechtliche Unklarheiten und begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten, die dem breiten Einsatz von Telechirurgie im Weg stehen.

Darüber hinaus bringt die Telechirurgie grundlegende Veränderungen mit sich, die über technische und rechtliche Aspekte hinausgehen:

Unterstützung des psychischen und emotionalen Wohlbefindens des OP-Teams bei der Einführung der Telechirurgie

Fernoperationen verändern die Dynamik im Operationssaal grundlegend, insbesondere die Organisation und Interaktion des medizinischen Teams. Eine aktuelle Studie zeigte, dass der Einsatz eines Chirurgie-Roboters die physische und sensorische Distanz zwischen den Teammitgliedern erhöht. Diese Umstrukturierung wirkt sich stark auf die mentale und emotionale Verfassung des Teams aus und erfordert erhöhte Aufmerksamkeit und Koordination, um während des Eingriffs einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen.

Stärkung der Beziehung zwischen Patient und Chirurg in einem virtuellen Umfeld

Die Telechirurgie beeinflusst auch das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Chirurg. Durch die physische Distanz fällt es Patienten schwerer, eine emotionale Bindung aufzubauen und Vertrauen zu fassen. Auch die Möglichkeit, emotionalen Beistand zu leisten, ist in diesem Kontext begrenzt.

Diese Zeitreise durch die Geschichte der Telechirurgie – von den ersten NASA-Versuchen bis zum jüngsten Erfolg an Bord der ISS – verdeutlicht ihr enormes Potenzial, die medizinische Versorgung weltweit zu transformieren. Telechirurgie kann dazu beitragen, dem Mangel an medizinischen Teams in entlegenen Regionen zu begegnen. Über die bestehenden technologischen, finanziellen und rechtlichen Herausforderungen gilt es, menschliche Bedürfnisse wie Vertrauen und Nähe innerhalb des Operationsteams und im Arzt-Patienten-Verhältnis zu berücksichtigen.

Wir von Alcimed begleiten Sie gerne bei der Bewältigung Ihrer Herausforderungen im Bereich der Telemedizin und der Robotik im Gesundheitswesen. Kontaktieren Sie unser Team!


Über die Autorin, 

Hélène, Consultant in Alcimeds Life Sciences Team in der Schweiz

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