Die Bedeutung der Mikrobiomforschung
Der Begriff Mikrobiom bezeichnet die Gesamtheit aller Mikroorganismen – darunter Parasiten, Bakterien, Pilze und Viren – die auf oder in zahlreichen Organen des menschlichen Körpers vorkommen, insbesondere auf unserer Haut, in den Augen und im Darm. Diese Mikroorganismen sind größtenteils harmlos – etwa 80 % sind sogar gesundheitsfördernd.
Das menschliche Mikrobiom erfüllt wesentliche metabolische und synthetische Funktionen für unsere Gesundheit, wie etwa die Regulierung des Immunsystems oder die Unterstützung der Verdauung. Um eine umfassende Charakterisierung des menschlichen Mikrobioms und dessen Rolle beim Erhalt der Gesundheit und bei Erkrankungen zu ermöglichen, wurde zwischen 2007 und 2016 das Human Microbiome Project (HMP) durch den Gemeinsamen Fonds der US-amerikanischen National Institutes of Health gefördert.
Die erste Phase, HMP1, wurde 2008 gestartet. Darin wurde das Mikrobiom von 300 gesunden Personen an fünf Körperstellen charakterisiert: den Nasenwegen, der Mundhöhle, der Haut, dem Magen-Darm-Trakt und dem Urogenitaltrakt. Die zweite Phase, iHMP, zielt darauf ab, longitudinale Datensätze sowohl vom Mikrobiom als auch vom Wirt zu erzeugen. Dabei werden unterschiedliche „-omics“-Ansätze in drei Kohortenstudien verwendet, um krankheitsbedingte Mikrobiomveränderungen zu untersuchen.
Eine dieser Studien konzentriert sich auf chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und untersucht, wie sich das menschliche Darmmikrobiom im Verlauf der Erkrankung bei Erwachsenen und Kindern verändert.
Das Darmmikrobiom – das zweite menschliche Genom
Warum steht gerade das Darmmikrobiom im Fokus der Forschung? Ein paar Fakten dazu verdeutlichen seine Bedeutung:
- Das menschliche Genom besteht aus etwa 30.000 Genen, das Mikrobiom hingegen kodiert mehr als 3 Millionen Gene – der Großteil davon im Darm.
- 70 % des menschlichen Immunsystems befinden sich im Darm. Das Darmmikrobiom fungiert als Barriere, die den Körper bei der Abwehr von Krankheitserregern unterstützt.
- Es bestehen Zusammenhänge zwischen dem Darmmikrobiom und verschiedenen Krankheiten: z. Depression, Autismus-Spektrum-Störungen, allergisches Asthma, atopische Dermatitis, Colitis ulcerosa, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sowie Typ-2-Diabetes.
Aktuell werden Mikrobiom-Therapien (Microbiome-based Therapies, MBT) zur Prävention wiederkehrender Infektionen mit Clostridium difficile (C. diff) entwickelt – einer hauptsächlich in Krankenhäusern erworbenen Infektion, die Durchfall, Dehydrierung, Fieber und Gewichtsverlust verursacht. Diese Therapien versprechen eine bessere Lebensqualität für Betroffene und eine Entlastung der Gesundheitssysteme.
Vielversprechende Mikrobiom-Therapien – mit zahlreichen Herausforderungen
Eine der größten Hürden bei der Entwicklung mikrobiombasierter Therapien ist das komplexe Zusammenspiel zwischen Darmmikrobiom und Krankheitsprozessen. Hinzu kommt die große individuelle Variabilität des Mikrobioms, die durch genetische und umweltbedingte Faktoren beeinflusst wird – was personalisierte Ansätze erfordert.
In der Herstellung stellen Qualitätskontrollen und Produktionsprozesse eine Herausforderung dar. Es bedarf spezialisierter Expertise und Infrastruktur – Kompetenzen, die vielen CDMOs (Contract Development and Manufacturing Organizations) bislang fehlen. Besonders die Sicherstellung der Lebensfähigkeit der Mikroorganismen über den gesamten Herstellungsprozess hinweg ist kritisch.
Ein weiteres zentrales Thema ist die regulatorische Einordnung. Bis 2022 hatte die Europäische Kommission keine klare Position zum Status dieser neuen Therapien. Ein damals veröffentlichter Bericht überließ es den Mitgliedsstaaten, eigene Regelungen zu treffen: So gelten Mikrobiom-Therapien in Frankreich, Spanien und Deutschland als biologische Arzneimittel, während sie in Belgien und Italien sie unter die Regulierung für Gewebe- und Zelltherapien fallen. Auch außerhalb der EU bestehen Unklarheiten: In Großbritannien, Kanada, Australien und den USA gelten sie größtenteils als biologische Arzneimittel – mit einigen Ausnahmen.
(Bald) zugelassene Therapien und zahlreiche Entwicklungen in der Pipeline
Trotz regulatorischer und technologischer Hürden hat die US-amerikanische FDA seit 2022 zwei auf dem Darmmikrobiom basierende Therapien zugelassen. Im November 2022 erhielt Ferring Pharmaceuticals die Genehmigung zur Vermarktung von REBYOTA – einem Mittel zur Prävention wiederkehrender Clostridioides difficile-Infektionen (CDI) bei Erwachsenen nach einer Antibiotikatherapie.
Sechs Monate später wurde VOWST von Seres Therapeutics zugelassen – mit demselben therapeutischen Ziel.
Im April 2023 erhielt Maat Pharma die FDA-Zulassung für Phase-III-Studien mit dem Wirkstoff MaaT013, dessen positive Ergebnisse im Februar 2025 veröffentlicht wurden. Die Therapie soll gegen die akute Graft-versus-Host-Erkrankung (aGvHD) helfen – eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation nach allogener Stammzelltransplantation. MaaT013 wurde von EMA und FDA als Orphan Drug für steroidrefraktäre und ruxolitinibresistente Patienten anerkannt.
Darüber hinaus entwickelt Maat Pharma MaaT033 (aktuell in Phase IIb) zur Wiederherstellung des Mikrobiom-Gleichgewichts bei Patienten mit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose).
Auch Siolta Therapeutics und Vedanta Biosciences forschen aktiv an mikrobiombasierten Therapien. Siolta testet aktuell einen Kandidaten zur Prävention atopischer Erkrankungen in Phase I und verfolgt zwei weitere Projekte im präklinischen Stadium zur Behandlung von bakterieller Vaginose und nekrotisierender Enterokolitis. Vedanta wiederum entwickelt: VE202 für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, VE303 gegen C. difficile-Infektionen, V707 zur Prävention multiresistenter gramnegativer Infektionen.
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Neue Perspektiven: Therapien mit noch unentdecktem Potenzial
Die aktuell entwickelten Mikrobiom-Therapien adressieren nur einen Bruchteil der Erkrankungen, bei denen ein Zusammenhang mit Dysbiosen – also einem Ungleichgewicht im Mikrobiom – vermutet wird. Dazu gehören u. a. intestinale Infektionen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom, Typ-2-Diabetes, Adipositas, Lebererkrankungen, bestimmte Krebsarten und neurologische Störungen wie Autismus-Spektrum-Störungen.
Es gibt zudem drei unterschiedliche therapeutische Ansätze:
- Nicht-zielgerichtete Ansätze: klassische Probiotika und Präbiotika, fäkale Mikrobiomtransplantationen (FMT),
- Zielgerichtete Ansätze: Einzelstamm-Biotherapeutika, Phagentherapien, genetisch modifizierte Mikroorganismen,
- Mikrobielle Konsortien: Kombinationselemente aus beiden Ansätzen.
Bislang wurden fast ausschließlich die unspezifischen Methoden vertieft untersucht – damit bleibt das Potenzial gezielter und kombinierter Ansätze weitgehend unerschlossen.
Mikrobiombasierte Therapien – getragen vom wachsenden Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Mikrobiom und Erkrankungen – entwickeln sich zu einem dynamischen Innovationsfeld in der Medizin. Trotz regulatorischer und technologischer Hürden erobern diese Therapien zunehmend den Pharmamarkt.
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Über die Autorinnen,
Jessica, Consultant in Alcimeds Healthcare Team in Frankreich
Chaoyue & Christelle, Project Manager in Alcimeds Healthcare Team in Frankreich