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GLP-1-Agonisten in der Suchtbehandlung: Können sie den Suchtdruck senken und so bei Substanzgebrauchsstörungen helfen?

Veröffentlicht am 09 Mai 2025 Lesen 25 min

Eli Lilly, der Hersteller von Zepbound®, hat angekündigt, seinen Glucagon-ähnlichen Peptid-1 (GLP-1)-Rezeptoragonisten in klinischen Studien zur Behandlung von Alkohol- und Drogenabhängigkeit zu testen.

Nach dem überwältigenden Erfolg von GLP-1-Agonisten in der Behandlung von Diabetes und Adipositas stellt sich die Frage: Können wir ähnliche Erfolge auch bei Substanzgebrauchsstörungen (engl.: SUDs für substance use disorders) erwarten?

GLP-1-Agonisten sind eine Wirkstoffklasse, die ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt wurde und in jüngerer Zeit auch bei Adipositas Anwendung findet. Es gibt zudem zunehmende Hinweise darauf, dass sich mit diesen Substanzen der Suchtdruck (sogenannte „Cravings“) bei Suchterkrankungen verringern lässt. In diesem Artikel beleuchten wir von Alcimed den aktuellen Entwicklungsstand der GLP-1-Agonisten mit Blick auf ihre potenzielle Anwendung bei Substanzgebrauchsstörungen.

Die Erfolgsgeschichte der GLP-1-Agonisten

GLP-1-Agonisten (auch GLP-1RAs genannt) und verwandte Wirkstoffe wie duale Agonisten des Glucose-abhängigen insulinotropen Peptids (GIP)/GLP-1 haben die Adipositasbehandlung revolutioniert, da sie in klinischen Studien und in der praktischen Anwendung einen signifikanten und anhaltenden Gewichtsverlust bewirken. Medikamente wie Semaglutid (Wegovy®) und Tirzepatid (Zepbound®) haben im Vergleich zu älteren Abnehmpräparaten eine höhere Wirksamkeit gezeigt – mit einer Reduktion des Körpergewichts um bis zu 20 %.

Die weite Verbreitung dieser Medikamente (ein erwartetes Marktvolumen von über 40 Milliarden US-Dollar im Jahr 20241Markets, R. A. (2024, 1 octobre). $ 49.3 Bn GLP-1 Markets 2024-2035 with Boehringer Ingelheim, Eli Lilly, Novo Nordisk Dominating. GlobeNewswire News Room. https://www.globenewswire.com/news-release/2024/10/01/2955841/28124/en/49-3-Bn-GLP-1-Markets-2024-2035-with-Boehringer-Ingelheim-Eli-Lilly-Novo-Nordisk-Dominating.html#:~:text=The%20GLP%2D1%20Market%20is,the%20forecast%20period%202024%2D2035.) zeigt ihren Nutzen und die hohe Nachfrage seitens der Betroffenen. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass sie auch in anderen therapeutischen Bereichen wirksam sein könnten. Aufbauend auf dem Erfolg in der Adipositasbehandlung kündigte Eli Lilly an, groß angelegte Studien durchzuführen, um zu prüfen, ob GLP-1-Agonisten auch Alkohol- und Drogenmissbrauch reduzieren können.

Aktuell zugelassene und in der Entwicklung befindliche GLP-1-Agonisten

Seit der Zulassung von Exenatid im Jahr 2005 zur Behandlung von Typ-2-Diabetes wurden zahlreiche GLP-1-Agonisten für Diabetes und Adipositas zugelassen. Heute dominieren Semaglutid und Tirzepatid den Markt und haben die GLP-1-Hersteller Novo Nordisk und Eli Lilly zu zwei der drei Pharmaunternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung gemacht2Largest pharma companies by market cap. (s. d.). https://companiesmarketcap.com/pharmaceuticals/largest-pharmaceutical-companies-by-market-cap/.

Aktuelle Entwicklungen konzentrieren sich auf die nächste Generation von GLP-1-Agonisten für Adipositas und weitere therapeutische Anwendungsbereiche. Anfang 2025 befinden sich über 30 neue GLP-1-Medikamente in der Entwicklung. Die führenden Unternehmen erweitern ihre Portfolios: Eli Lilly plant beispielsweise die Veröffentlichung von Phase-III-Daten zur Adipositasbehandlung mit Orfoglipron, einem oralen GLP-1-Agonisten, sowie zu Retatrutid, einem Dreifachagonisten für GLP/GIP/Glukagon-Rezeptoren, im Jahr 20253Xie, Y., Choi, T., & Al-Aly, Z. (2025). Mapping the effectiveness and risks of GLP-1 receptor agonists. Nature Medicine. https://doi.org/10.1038/s41591-024-03412-w.

Weitere Akteure – von großen Pharmaunternehmen wie Pfizer, Amgen und AstraZeneca bis hin zu aufstrebenden Biotechs – wollen ebenfalls vom Boom profitieren. Besonders auffällig sind Series-A-Finanzierungsrunden für neue Biotech-Unternehmen mit frühen Wirkstoffkandidaten, darunter 410 Millionen US-Dollar für Verdiva Bio im Jahr 2025 und 400 Millionen US-Dollar für Kailera Therapeutics Ende 2024.

Wirkmechanismen – von Adipositas zur Sucht

GLP-1-Agonisten fördern die Insulinausschüttung, verlangsamen die Magenentleerung und steigern das Sättigungsgefühl, indem sie auf GLP-1-Rezeptoren im Hypothalamus und anderen Hirnregionen wirken, die für die Hungerkontrolle zuständig sind. Dies führt in klinischen Studien und im Alltag zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme und signifikantem Gewichtsverlust.

Könnten sie auch bei Substanzgebrauchsstörungen wirken? GLP-1-Agonisten scheinen Belohnungssysteme zu beeinflussen, die über die Appetitkontrolle hinausgehen. Sie modulieren die dopaminerge Signalübertragung im mesolimbischen System – dem Belohnungskreislauf des Gehirns –, der auch bei Suchtverhalten eine zentrale Rolle spielt. Durch die Dämpfung belohnungsgetriebener Verhaltensweisen könnten GLP-1-Agonisten den Suchtdruck und den zwanghaften Substanzkonsum verringern.

  • Erfahrungen aus der Praxis: Es gibt zunehmende Hinweise darauf, dass bei mit GLP-1-Agonisten behandelten Patienten (z.  wegen Diabetes oder Adipositas) ein geringeres Suchtrisiko besteht. Eine Analyse aus dem Jahr 2025 ergab, dass bei hunderttausenden US-Veteranen mit Diabetes, die GLP-1-Agonisten erhielten, das Risiko für Substanzmissbrauch reduziert war. Eine weitere Untersuchung aus dem Jahr 2024 mit über 500.000 Patienten zeigte niedrigere Raten von Opioidüberdosierungen und Alkoholintoxikationen unter GLP-1-Therapie4Qeadan, F., McCunn, A., & Tingey, B. (2024). The association between glucose‐dependent insulinotropic polypeptide and/or glucagon‐like peptide‐1 receptor agonist prescriptions and substance‐related outcomes in patients with opioid and alcohol use disorders : A real‐world data analysis. Addiction. https://doi.org/10.1111/add.16679. Ebenso fand eine bevölkerungsbasierte Studie in Schweden heraus, dass Menschen mit metabolischen Erkrankungen unter GLP-1-Behandlung seltener an alkoholbedingten Störungen litten als vergleichbare Kontrollpersonen. Diese großangelegten epidemiologischen Korrelationen sprechen für einen potenziellen Einfluss von GLP-1 auf das Suchtverlangen.
  • Präklinische Forschung: Tierversuche belegen, dass GLP-1-Agonisten das Suchverhalten bei Nagetiermodellen für Kokain- und Opioidabhängigkeit reduzieren können. Diese Ergebnisse stützen die Annahme, dass GLP-1-Agonisten auch beim Menschen süchtige Verhaltensmuster abschwächen könnten.
  • Erste klinische Ergebnisse: In zwei kleinen klinischen Studien wurde festgestellt, dass GLP-1-Agonisten den Alkoholkonsum und das Verlangen bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit verringerten. Bei opioidabhängigen Patienten wurde das Verlangen nach der Substanz um 40 % reduziert5Bajaj, S. (2024, 20 février). Opioid cravings were reduced by anti-obesity drug in small study. STAT. https://www.statnews.com/2024/02/17/opioid-cravings-glp1-weight-loss-liraglutide-penn-state/.

Während diese Ergebnisse eine solide Basis für die weitere Untersuchung der Anwendung von GLP-1-Agonisten bei Substanzgebrauchsstörungen darstellen, sind auch potenzielle Nebenwirkungen zu berücksichtigen. GLP-1-Agonisten können erhebliche gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall verursachen. Zudem bestehen Risiken für Pankreatitis, Gallenblasenerkrankungen und gastrointestinale Motilitätsstörungen (z. B. Gastroparese). Auch Muskelabbau wurde beobachtet – ein Aspekt, der besonders bei Suchtpatienten außerhalb des Adipositas- und Diabetes-Kontexts problematisch sein könnte.

Warum sollte die Nutzung von GLP-1-Agonisten im Kontext von Substanzgebrauchsstörungen weiter untersucht werden?

Trotz Fortschritten in der Suchtmedizin gibt es nur wenige zugelassene Medikamente für die Behandlung von Substanzgebrauchsstörungen (SUDs) und diese sind oft nur mäßig wirksam.

  • Opioidabhängigkeit: Medikamente wie Buprenorphin und Methadon sind zwar wirksam, stoßen jedoch auf Barrieren bei Zugang und Therapietreue. GLP-1-Agonisten könnten die ersten effektiven Wirkstoffe sein, die unabhängig vom Opioid-Rezeptorsystem wirken.
  • Alkoholabhängigkeit: Zugelassene Medikamente wie Naltrexon und Acamprosat zeigen nur moderate Wirksamkeit und viele Patienten erleiden Rückfälle.
  • Stimulanzienabhängigkeit: Für Kokain- und Methamphetaminabhängigkeit gibt es derzeit keine zugelassenen Medikamente. Bupropion und Vareniclin werden gegen Nikotinsucht eingesetzt, aber neue Medikamente könnten die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten sinnvoll ergänzen.

Angesichts der hohen Rückfall- und Überdosisraten über alle Substanzarten hinweg besteht ein dringender Bedarf an innovativen Therapieansätzen.


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Die Zukunft der Suchtbehandlung

Neben GLP-1-Rezeptoragonisten werden weitere pharmakologische Ansätze zur Behandlung von Suchterkrankungen untersucht. Psychedelika wie Psilocybin und MDMA zeigen Potenzial zur Veränderung belohnungsbezogener Verhaltensmuster, doch bleiben Zweifel an ihrer Eignung bestehen – insbesondere nach der Ablehnung des Zulassungsantrags für das MDMA-Präparat von Lykos zur PTSD-Behandlung durch die FDA im Jahr 2024. Darüber hinaus werden monoklonale Antikörper entwickelt, die auf Substanzen wie Fentanyl abzielen, um deren Wirkung zu blockieren, bevor sie das Gehirn erreichen – mit dem Ziel, Überdosisrisiken zu verringern. Auch wenn sich viele dieser Ansätze noch in der Entwicklungsphase befinden, verdeutlichen sie den wachsenden Konsens darüber, dass innovative Therapien notwendig sind, um Suchterkrankungen effektiv zu behandeln.

GLP-1-Agonisten haben die Behandlung von Diabetes und Adipositas bereits grundlegend verändert. Ihre Anwendung in der Suchtmedizin könnte vielversprechend sein. Sollten sich die Ergebnisse der frühen klinischen Studien bestätigen, könnten innerhalb der nächsten Jahre entscheidende Phase-III-Studien starten und die ersten Produkte noch in diesem Jahrzehnt zugelassen werden. Wir begleiten Sie gerne dabei, dieses unerforschte Gebiet zu erkunden und in Ihre Strategie aufzunehmen. Kontaktieren Sie unser Team!


Über den Autor, 

Daniel, Consultant in Alcimeds Life Sciences Team in den USA

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