Agrar- und Ernährungswirtschaft

Das Ende von Glyphosat in Europa? Perspektiven und Alternativen

Veröffentlicht am 13 April 2022 Lesen 25 min

Pestizide haben die Landwirtschaft grundlegend verändert. Der Einsatz von Pestiziden hat die Gefahr, dass Unkraut, Schädlinge und Krankheiten die ganze Ernten vernichten und die Ernährungssicherheit gefährden könnten, erheblich verringert. Die dadurch erzielten Ertragssteigerungen haben es ermöglicht, eine stetig wachsende Bevölkerung zu ernähren und zugleich bessere wirtschaftliche Ergebnisse für Landwirte zu erzielen. Unter allen Pestiziden ist Glyphosat vermutlich die Substanz, die den größten Einfluss auf die moderne Landwirtschaft hatte – doch unsere Abhängigkeit davon wird zunehmend kritisch hinterfragt. Es stellen sich daher einige naheliegenden Fragen: Wir die Nutzung von Glyphosat in Europa bald ein Ende haben? Und welche Alternativen gibt es, um Unkraut wirksam zu bekämpfen?

Warum war Glyphosat so erfolgreich?

Glyphosat ist ein nicht-selektives Herbizid, das seit 1974 auf dem Markt ist. Es wurde von Monsanto (2018 von Bayer übernommen) entwickelt und unter dem Markennamen Roundup vertrieben. Heute ist es das bekannteste und am weitesten verbreitete Herbizid der Welt. Seit dem Ablauf des Patents haben alle großen Pestizidhersteller zeitweise Produkte mit diesem Wirkstoff auch in Europa angeboten.

Glyphosat ist bei Landwirten aus mehreren Gründen besonders beliebt. Der erste und offensichtlichste Grund ist seine hohe Wirksamkeit – es ist nach wie vor eines der effizientesten Herbizide und wirkt zuverlässig gegen eine breite Palette von Unkräutern (zweikeimblättrige Pflanzen, Seggen, Gräser usw.), für die es derzeit kaum gleichwertige Alternativen gibt.

Zudem ist Glyphosat als patentfreies Molekül relativ kostengünstig (in den USA liegen die Anwendungskosten zwischen 2,50 und 32 USD pro Hektar1United states environmental protection agency, Glyphosate – Response to Comments Usage and Benefits, 2019), was Landwirten hilft, ihre Produktionskosten in einem durch sehr geringe Margen geprägten Markt zu senken.

Darüber hinaus erleichtert es bestimmte Anbaumethoden, insbesondere die pfluglose Bodenbearbeitung („No-Till Farming“).

Das Herbizid war derart erfolgreich, dass Unternehmen sogar Pflanzen und Saatgut entwickelt haben, die gegen Glyphosat resistent sind, um den Einsatz noch zu erleichtern – diese gentechnisch veränderten Pflanzen sind jedoch in Europa verboten, da hier keine GVO (gentechnisch veränderte Organismen) zugelassen sind.

Ein weiterer Beleg für den Erfolg von Glyphosat ist seine Marktbeherrschung in Europa. Im Jahr 2017 belief sich der Absatz von Glyphosat auf 46.527 Tonnen Wirkstoff, was 33 % des gesamten Herbizidmarkts in der EU28+3 entspricht2Endure, Report : Glyphosate use in Europe, 2020. Das zeigt, wie stark die europäische Lebensmittelversorgung von diesem Wirkstoff abhängig ist.

Glyphosat: ein Wirkstoff unter zunehmender Beobachtung

Trotz seiner bedeutenden Rolle in der modernen Landwirtschaft steht Glyphosat in den letzten Jahren verstärkt unter Beobachtung.

In zahlreichen Lebensmitteln wurden Rückstände von Glyphosat nachgewiesen. Beispielsweise fand die britische Lebensmittelbehörde (UK-Food Standard Agency) bei Rückstandsanalysen im Oktober 2012 in 27 von 109 Brotmustern Glyphosat in Konzentrationen von mindestens 0,2 mg/kg3Food Standards Agency, Pesticides in food, 2021.

Während Glyphosat lange als relativ ungefährlich galt, wird diese Einschätzung zunehmend in Frage gestellt. 2015 traf sich eine Arbeitsgruppe aus 17 Experten aus 11 Ländern bei der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC), woraufhin die WHO Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ einstufte. Der Bericht selbst räumt ein, dass diese Einschätzung auf „begrenzten“ Beweisen für Krebs beim Menschen basiert, jedoch auf „ausreichenden“ Belegen aus Tierversuchen.

Zudem wirft der massive Einsatz von Glyphosat Fragen zur Umweltverträglichkeit auf. Studien zeigen zwar, dass Glyphosat relativ schnell abgebaut wird (die Halbwertszeit liegt zwischen 7 und 60 Tagen4Giesy J.P., Dobson S., Solomon K.R. Reviews of Environmental Contamination and Toxicology. Volume 167. Springer; New York, NY, USA: 2000. Ecotoxicological risk assessment for Roundup herbicide; pp. 35–120.). Dennoch kann es durch Auswaschung oder Abfluss in die Umwelt gelangen und dort unerwünschte Auswirkungen haben.

Diese zunehmend negative öffentliche Wahrnehmung zeigt sich auch in der Zahl der Klagen in den USA: Mehr als 124.000 Klagen wurden dort gegen Glyphosat eingereicht, von denen bis 2021 rund 80 % mit einer Vergleichssumme von etwa 10 Milliarden US-Dollar beigelegt wurden. Zwar sind solche Klagen in Europa derzeit kein Thema, doch bleibt abzuwarten, welchen Einfluss diese Entwicklungen auf die öffentliche Meinung und die Regulierungsbehörden in Europa haben werden.

Glyphosat ist auch Opfer seines eigenen Erfolgs – und unzureichender Strategien im Umgang mit Resistenz, ähnlich wie bei Antibiotika. Sein weit verbreiteter Einsatz hat zur Entstehung glyphosatresistenter Unkräuter geführt, was Erträge, Einkommen der Landwirte und die Ernährungssicherheit gefährdet.

All diese Faktoren setzen Regierungen und Unternehmen zunehmend unter Druck, die Abhängigkeit von Glyphosat zu überdenken – und es ist unwahrscheinlich, dass dieser Druck in Zukunft nachlässt.

Wie reagieren die Behörden auf diesen Druck?

Im Jahr 2017 verlängerte die Europäische Kommission die Zulassung von Glyphosat in der EU um 5 Jahre. Diese Entscheidung war keineswegs sicher, zumal die EU grundsätzlich verpflichtet ist, krebserregende Stoffe zu verbieten. Während die WHO Glyphosat wie erwähnt als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft, bewerteten die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) Glyphosat als „wahrscheinlich nicht krebserregend für den Menschen“. Die 5-jährige Verlängerung war dabei eher unüblich – normalerweise gilt eine Zulassung für 15 Jahre. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe war diese Entscheidung äußerst umstritten, insbesondere aufgrund der unterschiedlichen Einschätzungen europäischer Institutionen zur Krebsgefahr.

Diese Zulassung sollte im Dezember 2022 erneut überprüft werden – ein entscheidender Moment für die Zukunft des Wirkstoffs in der EU. Am 10. Mai 2019 beauftragte die Kommission vier Mitgliedstaaten (Frankreich, Ungarn, die Niederlande und Schweden) gemeinsam mit der nächsten Bewertung von Glyphosat. Diese Ländergruppe veröffentlichte im Juni 2021 eine Stellungnahme, wonach Glyphosat keine Gesundheitsrisiken für den Menschen darstellt – was den Weg für eine mögliche Verlängerung ebnete.

Dennoch haben einzelne Länder bereits ihren Willen bekundet, die Abhängigkeit ihrer Landwirtschaft von Glyphosat zu verringern. Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte zu Beginn seiner Amtszeit, dass er Glyphosat innerhalb von drei Jahren verbieten wolle. Seine Regierung hat jedoch letztlich kein entsprechendes Gesetz verabschiedet, sondern lediglich das Ziel formuliert, die Anwendung bis 2021 weitgehend zu beenden – außer dort, wo es keine praktikablen Alternativen gibt. In Deutschland äußerte die Regierung, dass Landwirte den Einsatz von Glyphosat reduzieren und bis 2024 ganz einstellen sollen. Selbst wenn die Zulassung verlängert wird, scheint es also zunehmend wahrscheinlich, dass Glyphosat aus den wichtigsten Agrarländern Europas verschwinden wird.

Die aktuelle EU-Zulassung für Glyphosat läuft im Dezember 2022 aus – ob sie verlängert wird, ist ungewiss.

Welche Alternativen zu Glyphosat gibt es?

Angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass Glyphosat in naher Zukunft verboten oder stark reguliert wird, stellt sich die Frage: Welche wirksamen Alternativen gibt es?

In ihrem Bericht zur „integrierten Unkrautbekämpfung“ haben das Pestizid-Aktionsnetzwerk und die europäischen Grünen verschiedene Ansätze aufgezeigt, die helfen könnten, die Abhängigkeit von Glyphosat zu verringern.

Biologische Pflanzenschutzmittel wurden erfolgreich zur Bekämpfung von Pilzen und Schädlingen eingesetzt, doch bei der Unkrautbekämpfung gestaltet sich der Einsatz schwieriger – auch weil ein einziges Feld oft von vielen verschiedenen Unkrautarten betroffen ist. Bioherbizide bieten allerdings den Vorteil einer hohen Selektivität (d. h. sie schädigen andere Pflanzen als das Unkraut kaum), hinterlassen keine Rückstände in der Umwelt und können helfen, resistenten Unkräutern entgegenzuwirken.

Auch mechanische Verfahren stellen eine Alternative dar. Der ökologische Landbau hat zur Weiterentwicklung von Geräten zur mechanischen Unkrautbekämpfung beigetragen. Heute gibt es eine Vielzahl von Technologien, z. B. verschiedene Striegelarten, Aerostar-Rotation oder Parallelogramm-Hackgeräte. Auch hier bringt die Digitalisierung und der Einsatz künstlicher Intelligenz neue Entwicklungen hervor – Unternehmen arbeiten bereits an autonomen Jäte-Robotern.


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Ein weiteres Verfahren ist die thermische Unkrautbehandlung, bei der Pflanzen durch hohe oder niedrige Temperaturen abgetötet werden. Ein häufiger Irrtum beim Flammenjäten ist, dass die Pflanzen verbrannt werden müssen – tatsächlich geht es darum, das Wasser in den Pflanzenzellen zum Verdampfen zu bringen, wodurch das Zellgewebe zerstört wird. Beispiele hierfür sind abgestorbene Saatbeete, Flammenbehandlungen in Reihenkulturen, selektives Jäten mit Dampf oder Elektrothermie.

Nicht zuletzt können auch Veränderungen in der landwirtschaftlichen Praxis eine Rolle spielen – etwa die Auswahl konkurrenzstarker Sorten, die Nutzung abgestandener Saatbeete oder die Untersaat mit einer Zweitkultur.

Mechanische Unkrautbekämpfung gilt als wichtige Option, um den Einsatz von Herbiziden zu verringern.

Glyphosat wurde mitunter als „Jahrhundert-Herbizid“ bezeichnet. Angesichts seiner herausragenden Bedeutung in der europäischen Landwirtschaft lässt sich zweifellos sagen, dass dieser Wirkstoff eine zentrale Rolle bei der Sicherung unserer Ernährung gespielt hat – und weiterhin spielt. Doch da die Öffentlichkeit zunehmend nachhaltige und sichere Anbaumethoden fordert, wächst der politische Handlungsdruck. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen scheint ein EU-Verbot von Glyphosat in naher bis mittlerer Zukunft immer wahrscheinlicher zu werden.

Europa auf eine Welt ohne die Nutzung von Glyphosat vorzubereiten, ist keine leichte Aufgabe – bietet jedoch eine einmalige Chance für all jene Unternehmen, die sich rechtzeitig strategisch positionieren. Wir von Alcimed begleiten Sie gerne bei Ihren Projekten. Kontaktieren Sie unser Team.


Über den Autor, 

Axel, Consultant in Alcimeds Life Sciences Team in Frankreich

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