Herausforderungen rund um neue, grünere Medikamente
Neue Medikamente sollten von Anfang an unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit entwickelt werden. Dabei müssen bereits in den ersten Entwicklungsphasen mehrere zentrale Aspekte berücksichtigt werden.
Grüne Chemie und umweltfreundliche Ansätze können genutzt werden, um umweltverträgliche Verfahren zu entwerfen („Benign-By-Design“-Ansatz), die die Umweltbelastung von Medikamenten minimieren. Prinzipien der grünen Chemie umfassen die Atomökonomie (ein Ansatz zur Gestaltung chemischer Reaktionen, der darauf abzielt, Abfall zu reduzieren und die Effizienz zu erhöhen), die Minimierung des Einsatzes von Derivaten sowie die Verringerung von Abfall in allen Produktionsschritten. Dabei wird die Verwendung erneuerbarer Rohstoffe gefördert, während gefährliche und schädliche Chemikalien möglichst vermieden werden. Energieeffiziente Prozesse werden bevorzugt, um die Abfallentstehung weiter zu reduzieren.
So schätzt AstraZeneca beispielsweise, dass die nachhaltige Wirkstoffforschung unter Verwendung grüner Chemie und neuer nachhaltiger Techniken jährlich etwa 500.000 kg CO₂ im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren einsparen kann.
Allerdings gibt es bei der Entwicklung und Herstellung neuer, ökologisch verträglicher Medikamente auch Herausforderungen, wie zum Beispiel:
- Nachhaltige Rohstoffe finden: Viele umweltfreundliche Medikamente basieren auf natürlichen oder pflanzlichen Inhaltsstoffen. Während diese nachhaltiger als synthetische Chemikalien sein können, ist die nachhaltige Beschaffung oftmals schwierig, besonders wenn die Nachfrage steigt.
- Chemische Sicherheit gewährleisten: Umweltfreundliche Medikamente verwenden häufig alternative oder neue Chemikalien, deren Umweltsicherheit nicht immer ausreichend bekannt ist. Das erschwert die Bewertung und das Management der mit Produktion und Nutzung verbundenen Umweltrisiken.
Herausforderungen bei bestehenden Medikamenten
Wie sieht es mit bereits bestehenden synthetischen Medikamenten aus? Konzepte nachhaltiger Pharmazie und grüne Chemie sollten auch bei der Entwicklung synthetischer Medikamente integriert und die Prozesse entsprechend optimiert werden, um die Menge der eingesetzten Inhaltsstoffe zu reduzieren, die Ausbeute zu erhöhen und sicherere Lösungsmittel zu verwenden. Um diese Veränderungen umzusetzen, besteht die zentrale Herausforderung häufig darin, neue Synthesemethoden zu entwickeln, die den Prozess tatsächlich in Richtung einer nachhaltigeren Entwicklung vorantreiben.
Ein wichtiges Thema bei bestehenden synthetischen Medikamenten ist beispielsweise der Umgang mit flüchtigen organischen Verbindungen (Volatile Organic Compounds, VOCs) während der Produktion. Um grünere Methoden zur Herstellung von Wirkstoffen (Active Pharmaceutical Ingredients, APIs) zu entwickeln, sollte die Produktion toxischer und schädlicher VOCs (z. B. Toluol, Chlorethylen) reduziert oder durch effiziente Abbautechniken entsprechend gemindert werden. VOCs entstehen in der Pharmaindustrie häufig durch die Verwendung organischer Lösungsmittel in verschiedenen Prozessschritten; deren Ersatz durch weniger umweltbelastende Alternativen erfordert neue Syntheseschritte und Produktionsmethoden.
Mehrere Unternehmen haben begonnen, in neue und umweltverträgliche Produktionsmethoden für ihre Moleküle zu investieren. Beispiele sind:
- Astellas: Durch freiwillig festgelegte jährliche Zielwerte hat Astellas seit 2018 seine VOC-Emissionen um mehr als 30 % gesenkt.
- BASF: Im Werk in Bishop, Texas, hat BASF mehrere Prinzipien der grünen Chemie angewandt, um die Produktionsschritte bei der Herstellung von Ibuprofen zu reduzieren. Das führte zu einem Produkt mit einem CO₂-Fußabdruck, der 30 % unter dem Branchendurchschnitt liegt.
- Pfizer: Das Unternehmen hat die Produktion von Pregabalin (Lyrica) überarbeitet, indem Lösungsmittel durch Wasser ersetzt und die Prozesse stark verbessert wurden. Dadurch sank der jährliche Verbrauch von Lösungsmitteln wie Methanol, Tetrahydrofuran und Isopropanol um über eine Million Gallonen, und der Energieverbrauch des gesamten Prozesses reduzierte sich um 83 %.
Übergreifende Herausforderungen rund um neue und bestehende Medikamente
Die erste übergreifende Herausforderung ist die Sicherstellung einer nachhaltigen Lieferkette. Pharmaunternehmen sollten Partnerschaften mit Lieferanten bevorzugen, die akkreditierte Nachhaltigkeitsstandards erfüllen (z. B. Ecovadis). Gleichzeitig kann die möglichst lokale Beschaffung von Rohstoffen und Wirkstoffen die Bemühungen weiter unterstützen. Eine globale Beschaffung von Materialien kann die positiven Effekte grüner Chemie deutlich verringern, da sie mit hohen transportbedingten CO₂-Emissionen verbunden ist. Durch Priorisierung lokaler oder regionaler Lieferketten können Unternehmen ihren ökologischen Fußabdruck deutlich reduzieren, die Zuverlässigkeit ihrer Versorgungskette erhöhen und die lokale Wirtschaft stärken.
Zweitens ist – unabhängig davon, ob ein Medikament neu ist oder bereits produziert wird – die Abbaubarkeit am Lebensende eine zentrale Herausforderung. Die Gestaltung von Medikamenten, die sich nach der Anwendung in angemessener Zeit abbauen, ist ein wichtiger Grundsatz der grünen Chemie, um eine Anreicherung in der Umwelt zu verhindern. Medikamente so zu entwerfen, dass sie mit einer richtigen chemischen Stabilität und einer vernünftigen Haltbarkeit abbaubar sind, ist ein wichtiges Thema in der Diskussion.
Neben der pharmazeutischen Industrie sollten auch Verbraucher ihre Rolle in diesem Kontext erkennen. Hierbei ist insbesondere der verantwortungsvolle Umgang und die sichere Entsorgung ungenutzter Medikamente entscheidend, um die Umweltbilanz des Gesundheitssektors insgesamt zu verbessern. Akteure im Gesundheitswesen können eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung der Verbraucher spielen und aktiv öffentliche Aufklärungskampagnen organisieren, wie unnötiger Verbrauch vermieden und Medikamente korrekt entsorgt werden können.
Die Förderung einer nachhaltigen Arzneimittelentwicklung ist für die Zukunft der Pharmaindustrie unerlässlich. Umweltaspekte gewinnen in allen Branchen an Bedeutung und auch pharmazeutische Unternehmen sollten verstärkt auf eine umweltfreundlichere Produktion setzen. Dieser Wandel erfordert Investitionen in Forschung sowie die Einführung umweltfreundlicher Praktiken und Innovationen – und möglicherweise auch die Bereitschaft, den Lebenszyklus bestimmter Medikamente neu zu gestalten, um umweltfreundlichere Endprodukte zu schaffen.
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Über den Autor,
Lorenzo, Senior Consultant in Alcimeds Life Sciences Team in Italien