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E-Mental-Health: der Boom mobiler Anwendungen

Veröffentlicht am 17 Januar 2024 Lesen 25 min

Die COVID-19-Krise ließ die Zahl der psychischen Störungen in die Höhe schnellen und führte zu einem Boom bei Apps für die psychische Gesundheit (engl. mental health). Psychische Störungen waren zwar bereits weit verbreitet, doch die COVID-19-Pandemie brachte in der Tat neue Herausforderungen mit sich: Angstzustände, Depressionen und andere Probleme, die Menschen aller Altersgruppen und Hintergründe betrafen, stiegen an. Eine Zahl fasst dies exemplarisch zusammen: Bei einer Umfrage des Center for Disease Control and Prevention im Juni 2020 gaben 40 % der Befragten an, dass sie während der Pandemie mit psychischen Problemen oder Substanzmissbrauch zu kämpfen hatten.

Das Aufkommen digitaler Angebote wie Anwendungen und Biomarker bietet heute neue Möglichkeiten, um die Versorgungslage zu verbessern. Angesichts der Zunahme dieser digitalen Hilfsmittel gibt Alcimed einen Überblick über vier Anwendungskategorien und ihre bisherigen Ergebnisse sowie über künftige Grenzen und Herausforderungen.

Psychische Gesundheit ist ein großes Problem, das Millionen von Menschen auf der ganzen Welt betrifft

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass jeder vierte Mensch irgendwann in seinem Leben ein Problem mit der psychischen Gesundheit haben wird und dass im Jahr 2019 jeder achte Mensch, d. h. 970 Millionen Menschen, mit einer psychischen Störung lebte.

Diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß der Prävalenz psychischer Störungen und unterstreichen die Notwendigkeit innovativer Ansätze zur Bewältigung dieser Herausforderungen.

Wie werden mobile Anwendungen für die psychische Gesundheit genutzt?

Apps für psychische Gesundheit haben einen regelrechten Boom erlebt. Zwischen Ende Dezember 2019 und Ende März 2020 nahmen die Downloads weltweit um 40 % und in Frankreich um 85 % zu. Um dieses Ökosystem besser zu verstehen, schlagen wir eine Einteilung in vier Hauptkategorien vor, auch wenn sich diese nicht gegenseitig ausschließen.

Kategorie Nr. 1: für Achtsamkeit und Meditation

Apps für Achtsamkeit und Meditation sollen Einzelpersonen dabei helfen, Entspannungs- und Achtsamkeitstechniken zu praktizieren. Sie bieten eine Vielzahl von geführten Meditationen, Atemübungen und anderen Techniken, die Stress abbauen und das geistige Wohlbefinden steigern sollen.

Zu den 280 im iTunes Store verfügbaren Achtsamkeits- und Meditations-Apps gehören Headspace, die einzige wissenschaftlich untersuchte Meditations-App mit 2 Millionen Abonnenten und 65 Millionen Downloads, sowie Calm mit 4 Millionen Nutzern und über 100 Millionen Downloads. Diese Popularität ist umso bedeutender, wenn man die alarmierenden Zahlen zum Thema Mental Health in Bezug auf die Weltbevölkerung bedenkt.

Kategorie Nr. 2: für Selbsthilfe und kognitive Verhaltenstherapie

Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist eine Form der Psychotherapie, die sich darauf konzentriert, negative Denk- und Verhaltensmuster zu erkennen und zu verändern. Bei Schlaflosigkeit zum Beispiel hilft die KVT zu verstehen, welche dysfunktionalen Überzeugungen negative Emotionen hervorrufen können und wie man diese kognitiven Verzerrungen oder automatischen Gedanken umstrukturieren kann, um wieder gut ein- oder durchzuschlafen.

Zu den beliebtesten KVT-Apps gehören MoodKit mit über 200 angebotenen Aktivitäten, Sanvello mit über 3 Millionen Nutzern und Happify mit über 500.000 Downloads.

Kategorie Nr. 3: zum Überwachen von Stimmungen und Symptomen

Tracking-Apps ermöglichen es den Nutzern, ihre täglichen Emotionen und Stimmungen zu überwachen und aufzuzeichnen, um ihre psychische Gesundheit besser zu verstehen. Sie verwenden in der Regel Tagebucheinträge, Moodtracker und andere Tools, um den Nutzern zu helfen, ihre Emotionen im Laufe der Zeit zu verfolgen. Das Hauptziel ist es, den Nutzern zu helfen, sich ihrer Emotionen bewusst zu werden, Trends und Veränderungen zu erkennen und ihren mentalen und emotionalen Zustand besser zu verstehen.

Zu den beliebtesten Apps zur Stimmungsverfolgung gehört Moodfit, das in den Jahren 2020, 2021 und 2022 von der Website Verywell mind, welche sich dem Thema Mental Health widmet, zur besten App im Bereich E-Mental-Health gewählt wurde. Auch beliebt sind Daylio und Mood Tools, das Werkzeuge wie die Erstellung eines Sicherheitsplans anbietet, auf den man sich im Falle einer psychologischen Notlage verlassen kann.

Kategorie Nr. 4: für den Kontakt mit Fachleuten und anderen Betroffenen

Angebote zur Unterstützung bieten Einzelpersonen eine Gemeinschaft von Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen, oder verbinden sie mit Fachleuten. Sie bieten einen Raum, in dem Einzelpersonen ihre Geschichten teilen, sich mit anderen verbinden und emotionale Unterstützung erhalten können.

Zu den beliebtesten Peer-Support-Apps gehören TalkLife mit über 2,5 Millionen Nutzern, Peer Collective, das von Verywell mind zur besten Peer-Support-App 2021 gewählt wurde, und HeyPeers.

KI-getriebenes Wachstum im Bereich E-Mental-Health

Apps für psychische Gesundheit sind Teil des großen Bereichs Mobile Health, der sehr schnell wächst: Schätzungen gehen von 17,6 % pro Jahr bis 2028 aus und erreichen somit einen Wert von 166,2 Milliarden US-Dollar.

Die Integration von KI in diese digitalen Werkzeuge unterstützt das Wachstum des Sektors stark. 3 Hauptgründe für den Einsatz von KI-Algorithmen verdeutlichen dies:

  • die Analyse großer Datensätze zur Identifizierung von Mustern und Risikofaktoren, was Fachkräften helfen kann, effektivere Behandlungspläne zu entwickeln,
  • die Personalisierung und Anpassung von Empfehlungen auf der Grundlage der Handlungen des Patienten und der Durchführung von Übungen,
  • die Verwendung digitaler Biomarker, die wertvolle Informationen über den mentalen Gesundheitszustand eines Patienten liefern können, so dass Fachkräfte schnell eingreifen und durch ihre Intervention die Entwicklung schwerwiegenderer Erkrankungen verhindern können.

Wo liegen die Grenzen mobiler Anwendungen und KI-gestützter Tools im Bereich E-Mental-Health?

Digitale Tools bieten neue Möglichkeiten zur Unterstützung bei und Bewältigung von psychischen Störungen, weisen aber auch wichtige Grenzen auf, die es zu beachten gilt. Es ist entscheidend, diese Grenzen zu verstehen, um einen umfassenden und angemessenen Ansatz für das psychische Wohlbefinden zu gewährleisten.

Wir haben vier wichtige Grenzen im Bereich E-Mental-Health identifiziert:

Unvollständige Informationen über die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit

Was die konkreten und nachgewiesenen Auswirkungen angeht, sind die Ergebnisse sehr unterschiedlich. Nur 5 % der Anwendungen wurden untersucht, daher ist die Wirksamkeit vieler der bereits verfügbaren Lösungen nicht nachgewiesen. Im Jahr 2020 wurde geschätzt, dass nur 3-4 % aller Apps im Bereich E-Mental-Health evidenzbasiert sind.

Es gibt jedoch immer mehr Belege dafür, dass diese digitalen Hilfsmittel positive Auswirkungen haben. Eine Metaanalyse von zehn randomisierten kontrollierten Studien ergab beispielsweise, dass Smartphone-gestützte Interventionen zu moderaten Verbesserungen der Angst- und Depressionssymptome bei Jugendlichen führten.

Eine der Schwierigkeiten beim Nachweis der Wirksamkeit dieser Tools rührt daher, dass ihre Nutzung nach wie vor im Ermessen des Nutzers liegt und schwer zu kontrollieren ist. In einer Studie mit 93 Apps wurde festgestellt, dass das Engagement der Nutzer im realen Leben gering ist und der Medianwert der wöchentlichen aktiven Nutzung bei nur 4 % liegt. Außerdem ist ein Unterschied im Engagement zwischen Meditations-Apps (1,6 %), Apps zur Überwachung der Stimmung (6,3 %) und Apps zur Unterstützung durch andere Betroffene (17 %) festzustellen.

Fehlen einer professionellen Überwachung

Es gibt derzeit zwischen 10.000 und 20.000 Anwendungen im Bereich E-Mental-Health, die auf Plattformen verfügbar sind, aber nicht alle werden von Psychologen positiv gesehen. Einige befürchten, dass die Apps die Psychotherapie ersetzen könnten, während andere sie eher als häusliche Unterstützung der professionellen Psychotherapie sehen. Außerdem werden nicht alle Apps in den App-Stores überwacht. Die Food and Drug Administration reguliert beispielsweise nur diejenigen, die als „Digital Therapeutics“ oder digitale Therapie eingestuft werden und für die der therapeutische Nutzen ihrer Nutzung wissenschaftlich nachgewiesen sein muss.

Obwohl diese Lösungen bei der Bewältigung von Symptomen und der Verbesserung des Wohlbefindens hilfreich sein können, sind sie nicht dazu gedacht, das Fachwissen und die Beratung durch zugelassene Fachleute zu ersetzen. Tatsächlich erwies sich auch die Nutzung einer internetbasierten KVT, die von einer medizinischen Fachkraft angeleitet wurde, als wirksamer als eine nicht angeleitete internetbasierte KVT. Dies zeigt, wie wichtig es ist, Fachleute in die digitale Versorgung einzubeziehen.

Die Nutzung dieser digitalen Angebote könnte die Suche nach einer geeigneten Psychotherapie verzögern oder dazu führen, dass kritische Warnzeichen übersehen werden. Insbesondere Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen benötigen möglicherweise eine intensivere Therapie, als sie von einer App bereitgestellt wird, und benötigen eher eine persönliche Psychotherapie oder Medikamentenverschreibung benötigen.


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Beschränkter Zugang für bestimmte Personengruppen

Digitale Hilfsmittel können besonders für Menschen in ländlichen Gebieten nützlich sein, da sie häufig nur begrenzten Zugang zu persönlicher psychosozialer Versorgung haben, für Menschen mit finanziellen Einschränkungen oder für Menschen mit einem vollen Terminkalender, da sie von der Bequemlichkeit digitaler Angebote profitieren können, auf die sie jederzeit zugreifen können.

Einige Bevölkerungsgruppen können jedoch immer noch mit Zugangsbarrieren konfrontiert sein. Beispielsweise fehlt es älteren Menschen möglicherweise an digitaler Kompetenz oder sie haben keinen Zugang zu Smartphones oder anderen notwendigen Geräten.

Ungeklärter Datenschutz

Schließlich gibt es Bedenken hinsichtlich der Vertraulichkeit und Sicherheit der gesammelten Informationen. Da Menschen sensible Informationen austauschen, muss unbedingt sichergestellt werden, dass diese vor unbefugtem Zugriff oder Missbrauch geschützt sind.

Als solches ist die Regulierungslandschaft immer noch in Bewegung, mit laufenden Debatten über Themen wie Dateneigentum, informierte Zustimmung und Rechenschaftspflicht.

Die Regulierung hat sich auch als Reaktion auf die COVID-19-Krise weiterentwickelt. Beispielsweise veröffentlichte die Food and Drug Administration als Reaktion auf den gesundheitspolitischen Notfall im Bereich der mentalen Gesundheit ein Grundsatzpapier, in dem sie erklärte, dass sie für Anwendungen mit geringem Risiko keine behördliche Genehmigung verlangen würde. Bei mehr als 10.000 verfügbaren Apps im Bereich E-Mental-Health sind daher weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um sicherzustellen, dass diese Tools eine qualitativ hochwertige und evidenzbasierte klinische Unterstützung bieten.

Die psychische Gesundheit ist ein komplexes und dringendes Problem und digitale Lösungen können eine wichtige Rolle bei der Bewältigung dieses Problems spielen. Darüber hinaus wird die Integration von KI auch in Zukunft neue Möglichkeiten und Entwicklungspfade eröffnen. Es ist jedoch wichtig, sich diesen Lösungen mit einem kritischen Blick zu nähern und sowohl ihre Vorteile als auch ihre Grenzen zu verstehen. Apps können ein wertvolles Instrument sein, um Symptome zu verfolgen, Ressourcen zur Selbsthilfe bereitzustellen und Einzelpersonen mit zugelassenen Fachkräften in Kontakt zu bringen. Sie sind jedoch kein Ersatz für die traditionelle Psychotherapie und Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Informationssicherheit müssen berücksichtigt werden. Letztendlich bestehen einige der wichtigsten Herausforderungen der E-Mental-Health darin, die Versorgung und die Datengenerierung zu verbessern und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Versorgungsqualität individuell anpassbar und qualitätsorientiert bleibt. Alcimed steht bereit, um die verschiedenen Interessengruppen bei diesem Übergang zu unterstützen. Zögern Sie nicht, unser Team zu kontaktieren!


Über die Autorin, 

Zoé, Consultant in Alcimeds Healthcare Team in Frankreich

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